Vor- und Nachteile für den Umweltverbund bei Verkehrsberuhigungsprojekten

In vergangenen Ausgaben wurde Shared Space aus Fußgängersicht dargestellt. Welche Auswirkungen ergeben sich für die anderen Verkehrsarten im Umweltverbund?

Shared Space und ÖPNV

Linienbus- und Straßenbahnunternehmen neigen dazu, jede Verkehrsberuhigung auf ihren Strecken pauschal zu problematisieren. Geschwindigkeitsbegrenzungen können im Einzelfall zu Mehrfahrzeiten führen. Doch kommt es bei Ersatz von Ampelanlagen durch Kreisverkehrsplätze oft sogar zu Fahrzeiteinsparungen, von denen auch der ÖPNV profitiert. Nachteil etwaiger Kreisel, die gerne als „Tore“ vor Verkehrsberuhigten Straßen eingesetzt werden, sind allerdings Fahrkomfortminderungen bei geradeaus fahrenden und linksabbiegenden Buslinien.

Falls es im Einzelfall doch Fahrzeitverlängerungen gibt, wird meist auch der konkurrierende Motorisierte Individualverkehr gleichermaßen verlangsamt. Sollte in bestimmten Fällen mehr Fahrzeuge bzw. mehr Fahrpersonal erforderlich oder Anschlüsse gefährdet sein, können z.B. ausgleichende Beschleunigungsmaßnahmen an anderer Stelle geprüft werden.

Durch eine Bevorrechtigung des Fußverkehrs mittels Anordnung eines Verkehrsberuhigten Bereichs sind i.d.R. keine wesentlichen Fahrzeitverluste zu erwarten, da Fußgänger/innen dem ÖPNV gegenüber häufig auf ihren Vorrang verzichten. Beschilderungsvarianten mit Fußgängervortritt werden aufgrund der ungünstigen Haftungsrechtslage von Busunternehmen kritisch gesehen (persönliche Haftung von Busfahrer/innen bei Personenschäden, dadurch vorbeugende Widerstände der Betriebsräte). Dennoch zahlt sich die Direktbedienung von Geschäftsstraßen und deren Aufwertung durch eine fußgängerfreundlichen Anordnung für den ÖPNV aus. Schließlich sind sie wichtige Ziel- und Quellorte von Fahrgästen, weshalb in etwa einem Dutzend deutscher Städte sogar Fußgängerzonen befahren werden.

Erhöhte Haltestellenkanten in ansonsten niveaugleichen Platz- und Straßenräumen stellen normalerweise keine Barriere für den Fußverkehr dar, wenn für Mobilitätsbehinderte abgesenkte umwegarme Routen vorgesehen, diese auffindbar sind und es sich nicht um Hochbahnsteige handelt.

Kurzum, die Vereinbarkeit von Verkehrsberuhigung und ÖPNV ist grundsätzlich gegeben bzw. herstellbar. (1).

Shared Space und Radverkehr

Eine Straße ohne jegliches Verkehrszeichen – und somit auch ohne straßenverkehrsrechtliche Markierungen und Lichtsignalanlagen (LSA) – prägt hierzulande das Bild von Shared Space. Diese Variante wird als „Naked Street“ bezeichnet (Nackte Straße). Das hinsichtlich Nichtbeschilderung konsequenteste Vorhaben wurde bekanntlich im niedersächsischen Bohmte realisiert (siehe vorhergehenden Beitrag). Die dortige L 81 ist die erste und bislang einzige „nackte“ Hauptverkehrsstraße Deutschlands. Wie schon in mobilogisch! 3/08 ausgeführt, gilt dort die problematische Regelhöchstgeschwindigkeit 50 km/h (Zeichen 310 „Ortstafel“), welche für Radfahrer/innen erheblich mehr Verletzungs- und Sterblichkeitsrisiko bei Unfällen beinhaltet als Geschwindigkeiten bis 30 km/h.

In Verbindung mit dem niveaugleichen Ausbau führt Nichtbeschilderung zu verstärkten Konflikten zwischen Fuß- und Radverkehr am Straßenrand. In Bohmte etwa fahren fast alle Radfahrer/innen im begangenen Seitenbereich, und zwar links und rechts: Begünstigt wird dies vielleicht durch die als Markierung (fehl)deutbaren Blinden-/ Sehbehindertenleitstreifen. Das Radfahren am rechten Straßenrand im begangenen Bereich ist zwar fußgängerfeindlich, aber rechtmäßig. Das Rechtsfahrgebot (§ 2 StVO) verbietet es sogar, in der Kfz-Fahrgasse zu radeln! Der eigentlich gewünschte „Shared Space“ existiert bei Nichtbeschilderung juristisch nur am Straßenrand, und zwar mit der fragwürdigen „Qualität“ eines benutzungspflichtigen Gemeinsamen Geh- und Radwegs.

Von daher verwundert, dass sowohl der ADFC als auch der VCD kritiklos von unbeschilderten Shared-Space-Variante schwärmen. Denn ansonsten lehnen beide Verbände innerörtliche Regelungen mit fahrrad-benutzungspflichtigen Seitenräumen ab - zurecht.

Der FUSS e.V. favorisiert Shared-Space-Varianten mit einer echten Mischfläche, also Verkehrsberuhigte Bereiche bzw. perspektivisch die sehr ähnlichen Begegnungszonen. Bei diesen Shared-Space-Typen, gestalterisch identisch mit Nackten Straßen, verkehrt der Fahrradverkehr gleichberechtigt mit den stark verlangsamten Kfz auf der baulich abgegrenzten Fahrgasse. Davon profitieren Rad- und Fußverkehr

Literatur:

 

Dieser Artikel von Arndt Schwab ist in mobilogisch! , der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 1/2011, erschienen.

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