In jüngster Zeit taucht in der Fachdiskussion immer häufiger der Begriff „Shared Space“ (auf deutsch etwa: gemeinsam genutzter Raum) auf. Googelt man diesen Begriff, stößt man schnell auf die Internetseite www.shared-space.org. Laut dortiger Definition soll durch Shared Space der öffentliche Straßenraum besser gemeinsam allen Verkehrsteilnehmern und auch anderen Nutzern zur Verfügung stehen. Erreicht werden soll dies, indem Verkehrsregeln beseitigt und durch soziale Regeln ersetzt werden.

Auffälligstes Merkmal bei der Umsetzung des Projekts ist, nach Möglichkeit sämtliche Verkehrsschilder, Ampeln und Straßenmarkierungen abzubauen. Auch werden die Wege nicht mehr nach verschiedenen Nutzungsarten unterschieden; Fuß- und Radwege werden entfernt, es gibt nur noch eine Verkehrsebene. Eine Trennung wird höchstens optisch markiert; die gemeinschaftliche Nutzung des zur Verfügung stehenden Raumes ist das Ziel.

Soweit die Theorie. Sie hört sich irgendwie bekannt an und erinnert an die Verkehrsberuhigungsdiskussion Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts (Anm.: Die Büroinhaber haben 1977 ihre Diplomarbeit über dieses Thema geschrieben). Also nur alter Wein in neuen Schläuchen?

Ortstermine

Vor allem in den Niederlanden versuchen in Friesland/Groningen verschiedene Gemeinden das Shared Space-Prinzip umzusetzen. Also nutzten wir einen schönen Frühjahrstag, um nachzuschauen, ob es sich um alten Wein in neuen Schläuchen handelt. Sehenswert sind vor allem Drachten, Haren und Oosterwolde.

Mit Drachten hatten wir aufgrund der Vorinformationen große Erwartungen verbunden. Das Erlebnis vor Ort war dann enttäuschend: Wenn der Shared Space-Gedanke sich darin manifestiert, einen konventionellen Kreisverkehr in eine riesige versiegelte dunkle Steinfläche einzubetten, dann ist das nach unserer Auffassung der falsche Weg. Es gibt keine senkrechten Verkehrszeichen, dafür aber um so mehr Fahrbahnmarkierungen in allen Varianten - doch die zählen auch zu den Verkehrszeichen und tragen nicht zwingend zu einer weniger technischen Gestaltung bei. Der niveaugleiche Ausbau führt dazu, dass die Höhenunterschiede irgendwo anders verdrückt werden müssen, was nun nicht mehr als Bordstein am Gehwegrand sondern vor den Gebäuden durch völlig unmotivierte Stufenanlagen erfolgt.

Die publizierten Fotos mit durch Wasserspiele wandelnden Fußgängern täuschen über die wahren Verhältnisse. Und auch die pipigelbe Einfärbung des Wassers (zumindest am Besuchstag) verbessert die Optik nicht gerade.

In Haren war die Shared Space-Philosophie noch am ehesten zu spüren. Platzartige Räume im Verlauf eines Straßenzuges sind sehr offen gestaltet und es kommt zu einer echten Mischung der Verkehrsarten. Details, wie die Hochborde für Niederflurbusse an einer Bushaltestelle sind gut gelöst und Teil der weichen Führung für den Kfz-Verkehr. Aber die Streckenabschnitte zwischen den Platzräumen erinnern dann doch eher an klassische Straßenumbauten mit den positiven Erfahrungen aus den 80er Jahren mit ausgewiesenen Parkständen und einer erkennbaren Abtrennung der Fahrgasse.

Oosterwolde öffnet seine Fußgängerzone am Vormittag als Einbahnstraße. Genutzt wird die Straße als Shared Space, d.h. bis auf Behindertenparkplätze gibt es keine Verkehrszeichen im Straßenraum. Die vormittägliche Öffnung löst gleichzeitig die leidige Diskussion über die Zulässigkeit von Fahrradverkehren in Fußgängerzonen im Zuge der Schulwegsicherung und der Anlieferung. Gegen Mittag fährt dann auf Einfahrtseite ein versenkter Poller hoch und sperrt die Zufahrt. Ab nun ist die Straße eine Fußgängerzone. Sich noch im Straßenraum aufhaltende Fahrzeuge können unbegrenzt abfließen.

Hier handelt es sich um ein weiteres Beispiel einer Planungspraxis, die sich in Klein- und Mittelstädten in Europa immer weiter durchsetzt: Der zeitlich flexible Umgang mit unterschiedlichen Nutzungsansprüchen. Für Nutzung der Straße mit und ohne Kfz ist das Shared Space-Gestaltungsprinzip nahezu unerlässlich, da sonst am Nachmittag die Verkehrszeichen zur Lenkung des Kfz-Verkehrs das Erscheinungsbild der Fußgängerzone und damit die Aufenthaltsqualität und Nutzbarkeit wesentlich stören würde.

Drei Beispiele, drei sehr unterschiedliche Anwendungen des Shared Space-Gedankens. Ein echter Unterschied zur früheren Verkehrsberuhigungsdiskussion ist nicht wirklich auszumachen, da es immer darum ging, durch weniger Regelungen und nicht durch mehr Regelungen ein besseres Miteinander im Straßenverkehr zu finden. Und viele „alte“ Beispiele genügen durchaus auch dem „neuen“ Shared Space-Gedanken. Und auch die Schwächen von „alt“ und „neu“ sind die gleichen:

Wirft man zurecht den ersten Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung vor, dass sie mit kleinteiligen Einbauten und der Auflösung von Straßenfluchten der Stadtgestaltung keinen Gefallen getan haben, muss man heute die Frage stellen, ob die riesigen versiegelten Pflasterflächen des Shared Space nicht genau wieder den selben Fehler begehen.

Resumee

Shared Space also alter Wein in neuen Schläuchen? Man muss im positiven Sinn ein klares „ja!“ sagen. Positiv da Shared Space in der Lage sein kann, die Diskussion über eine stadtverträgliche Verkehrsabwicklung neu zu beleben, nachdem Verkehrsberuhigung durch scheinheilige Erreichbarkeitsdiskussionen zum städtischen Tabu-Thema wurde. Für einen solchen Neuanfang darf der alte Wein auch einen neuen Namen erhalten, das ist Planungsmarketing.

P.S.: Was in den Niederlanden aufwändig als shared space vermarktet wird, ist woanders einfach nur eine gute Planung. Zwei Beispiele aus jüngster Zeit: Der neue Bahnhofsvorplatz in Löwen (Belgien) und ganz neu der Theatervorplatz / König-Heinrich-Platz in Duisburg als verkehrsberuhigter Bereich mit 21.000 Kfz/Tag.

 

Der niederländische Verkehrsplaner Hans Monderman, Erfinder des shared-space-Konzepts, ist am 9. Januar 2008 im Alter von 62 Jahren in Ureterp (Friesland) gestorben.

 

Dieser Artikel von Jochen Richard Planungsbüro Richter-Richard ist in mobilogisch! , der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 1/2008, erschienen. 

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