In ganz Deutschland wird in den letzten Jahren der Shared Space–Gedanke heftig diskutiert und von vielen deutschen Ländern und Städten adoptiert. Mülheim, Karlsruhe, Stuttgart, Berlin, Potsdam, das Land Brandenburg und nicht zuletzt auch die Freie und Hansestadt Hamburg streben in den kommenden Jahren an, Projekte nach dem Shared Space –Prinzip umzusetzen. Vorbereitend wurde von Professor Jürgen Gerlach und der Ingenieurgesellschaft Stolz ein Gutachten erstellt, das die Voraussetzungen für „Gemeinschaftsstraßen“ (wie das Shared Space–Prinzip in Hamburg genannt werden soll) unter großstädtischen Rahmenbedingungen untersucht hat und den Bezirken nun als Handlungsleitfaden dienen soll.

Rückschritt statt Weiterentwicklung

Das Gutachten spricht einleitend von einer speziell auf Hamburg ausgerichteten „Weiterentwicklung“ des Shared Space–Gedankens. Dies trifft leider nicht zu. Es handelt sich vielmehr um eine Rückentwicklung, hin zur altbekannten Verkehrsberuhigung der siebziger Jahre. Dieser werden die „Gemeinschaftsstraßen“ im Gutachten auch ausdrücklich zugeordnet: „Shared Space–Projekte sind grundsätzlich nichts Neues. Unter anderem Namen gibt es seit Jahrzehnten in Deutschland öffentliche Räume, die dem Shared Space–Konzept entsprechen.“

Aus dieser Feststellung spricht ein oft gehörtes Missverständnis, was Shared Space wirklich ist. Zwar wird von den Autoren betont, man sei sich der über die Verkehrsplanung hinausgehenden Dimensionen von Shared Space bewusst, aber man beurteilt die Möglichkeiten von Shared Space trotzdem als Verkehrskonzept: „Zusammengefasst wird nach den bislang verfügbaren Informationen deutlich, dass Shared Space [sich] in der heutigen Entwicklungsphase bezüglich der Verkehrsplanungsprozesse im Rahmen der in Deutsch-land bereits bekannten Beteiligungsverfahren bewegt.“

Shared Space ist kein Verkehrskonzept

Diese Stellungnahme ist nicht verwunderlich, da die Autoren ja auch schließlich Verkehrsexperten sind. Es ist hier nicht der Ort, alle Missverständnisse aufzuklären, aber wir möchten doch versuchen, ein wenig Klarheit zu Shared Space zu verschaffen, um so die Diskussion von der Verkehrsebene hin zum tatsächlichen Anliegen des Konzeptes zu lenken und den auch von den Autoren des Gutachtens befürworteten Paradigmenwechsel zu unterstützen.

Obwohl sich Shared Space eigentlich auf ein paar ganz einfache Grundsätze stützt, ist es in seiner Umsetzung ganz und gar nicht simpel. Die wichtigste Voraussetzung für Shared Space ist nämlich, dass wir herkömmliche Denkschemata hinterfragen. Seit Albert Einstein wissen wir: „No problem can be solved from the same level of consciousness that created it.“ Shared Space ist kein Verkehrskonzept und kann daher vom traditionellen Paradigma der Verkehrssicherheitsexperten aus auch nicht ganz verstanden werden. Irgendwie hat sich wohl der Gedanke festgesetzt, bei Shared Space handele es sich um einen für beschränkte Stellen geeigneten Entwurf, einhergehend mit Bürgerbefragung und resultierend in einer Neugestaltung eines Straßenabschnittes.

Das ist allerdings eine Verkennung der tatsächlichen Inhalte und Anliegen. Wir wollen uns unsere Straßen und Wohnviertel mit anderen Augen betrachten. Zusammen mit den Bürgern und allen anderen Beteiligten will Shared Space dazu beitragen das dasjenige, was wir bauen, auch dasjenige ist was wir für uns und für die Generation unserer Kinder wollen. Ansprechende Entwürfe, die unter Beteiligung der Bürger zustande kommen, sind das äußerliche Ergebnis eines solchen Shared Space –Prozesses. Der beinhaltet aber viele Aspekte, die im Gutachten nicht angesprochen werden. Er beinhaltet vor allem die Bereitschaft eines gemeinsamen und fortgesetzten Lernprozesses. Das setzt voraus, dass wir hergebrachte Gewohnheiten und Strukturen hinterfragen sollten. Fragen stellen heißt, nicht alles als selbstverständlich hinzunehmen. Das betrifft sowohl die Abläufe auf unseren Straßen, als auch – und noch viel wichtiger – die Abläufe im Rathaus, in Agenturen, in Bürgerinitiativen und in vielen anderen Organisationen. Solange dort Shared Space eine Angelegenheit der Verkehrs- und Raumplaner bleibt, macht man kein Shared Space, sondern eine Neuauflage der althergebrachten Verkehrsberuhigung, die bestenfalls mit einem Mäntelchen der Bürgerbeteiligung bedeckt wird.

Neues Wissen schaffen

Verkehrsfachleute haben im Lauf der Zeit viel wertvolles Wissen erarbeitet. Wir halten es darum natürlich durchaus für sinnvoll, auf diesem Wissen auch weiter aufzubauen. Das ist aber nicht genug. Was wir brauchen ist neues Wissen, von einer fachübergreifenden Perspektive aus formuliert. Im Shared Space Institute haben wir in den letzten Jahren Einsichten gewonnen, die über die der Verkehrsfachleute hinausgehen. Shared Space Institute wurde im November 2008 gegründet. Es entstand als wichtigstes Ergebnis des europäischen Shared Space – Kooperationsprojektes und hat den Auftrag, das aus diesem Projekt gewonnene Wissen weiterzuentwickeln, anzuwenden, auszuwerten und zu veröffentlichen.

Shared Space Institute ist eine Stiftung, die sich vor allem der Wissensbildung und Willensbildung widmet. Die Arbeit des Instituts besteht aus Beratung und Studien in drei Bereichen, die immer in ihrem wechselseitigen Zusammenhang aufgefasst werden:

Miteinander

Shared Space Institute versteht sich als Netzwerkorganisation. Unser Anliegen ist es, den Paradigmenwechsel (für den eine andere Nutzung des öffentlichen Raumes ja nur die rein äußerliche Erscheinungsform ist), zu verstehen, zu begleiten und für eine Gesellschaft verantwortungsbewusster Menschen brauchbar zu machen. Shared Space ist ein langer und manchmal nicht ganz einfacher Prozess, der viel guten Willen aller Beteiligten voraussetzt. Die Frage der Evaluation und Vermittlung der Inhalte des Shared Space–Prinzips soll in den nächsten Jahren auch Gegenstand weiterer Studien sein, die federführend über das Shared Space Institute vorbereitet und durchgeführt werden. Für Fragen, Anregungen, Diskussionen, Gedankenaustausch, gemeinsame Studien oder Projekte sind wir gerne erreichbar.

All das, wofür wir uns auf unseren Straßen einsetzen ist nämlich auch unser wichtigstes Anliegen bei der Weiterentwicklung des Shared Space–Konzeptes im Institut: ein Miteinander sinnvoller als ein Neben- oder gar Gegeneinander. Wir möchten darum die Stadt Hamburg ausdrücklich dazu ermutigen, bei der Anwendung von Shared Space in den Stadtbezirken tatsächlich zur Weiterentwicklung des Konzeptes beizutragen und sich dazu der Mitarbeit all derer zu versichern, die Sinnvolles dazu beitragen können.

 

Dieser Artikel von Sabine Lutz, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, ist in mobilogisch! , der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 3/2009, erschienen. Sabine Lutz arbeitet am Shared Space Institute.

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